CD I | FERIA QUINTA
Tenebrae Responsoria for Maundy Thursday
CD II | FERIA SEXTA
Tenebrae Responsoria for Good Friday
CD III | SABBATO SANCTOT
Tenebrae Responsoria for Holy Saturday
directed by Björn Schmelzer
Voices: Anne-Kathryn Olsen, Carine Tinney, Razek-François Bitar, Albert Riera, Andrés Miravete, Marius Peterson, Adrian Sîrbu, Arnout Malfliet
Recorded in Beaufays (Eglise Saint-Jean L'évangeliste)
on 26 July - 6 August 2019
Engineered by Alexandre Fostier
Recording supervised by Eugénie De Mey
Editing: Alexandre Fostier and Björn Schmelzer
PASSION IN DER PRIVATEN KAPELLE
Wenn Vokalmusik im Musikleben auch nur annähernd den ihr zustehenden Rang einnehmen und nicht permanent von der ewig gleichen Orchestermusik und ihren aufdringlichen Protagonisten namens „Dirigenten“ in den Hintergrund geschoben werden würde, gäbe es seit Jahren kaum ein interessanteres Diskursthema als das belgische Vokalensemble Graindelavoix und seinen Gründer und Leiter Björn Schmelzer. Schmelzers Klangästhetik ist ein Frontalangriff auf die Sauberkeitsbestrebungen britischer oder auch deutscher Ensembles.
Schmelzer ermutigt seine Sänger zur Individualität ihres Stimmklangs, zu Stimmansätzen, die man in herkömmlichen Chören als unsauber und wacklig qualifizieren würde und die wie selbstverständlich in Ornamentierungen münden, die aus traditionellen Singkulturen stammen – was das bedeutet, wird hier noch ausführlicher erörtert werden. Graindelavoix pflegte diesen Ansatz bevorzugt in Musik des Mittelalters oder der frühen Renaissance, seit einigen Jahren wird er auch auf spätere Musik übertragen, etwa Madrigale von Cipriano de Rore.
Identifikation mit dem Gekreuzigten
Die neueste Aufnahme widmet sich den Passions-Responsorien von Carlo Gesualdo von 1611, je neun Motetten für Gründonnerstag, Karfreitag und -sonnabend, eine ausschweifende, jede liturgische Funktion durch die schrankenlose Identifikation des Komponisten mit dem Gekreuzigten über den Haufen rennende Musik für sechs Stimmen in der privaten Kapelle (Gesualdo: Tenebrae, Glossa). Beim gleichen Label erschien vor sechs Jahren eine Aufnahme der Compagnia del Madrigale, der man damals Referenzwert zusprechen konnte. Verglichen mit Graindelvoix klingt sie fast grell: Das italienische Ensemble singt einen halben Ton höher als das belgische und statt mit einem Altus mit einem weiblichen Alt. Das erhöht indes zusammen mit einer helleren Akustik die Transparenz. Ihrem Namen schließlich werden die Italiener gerecht durch ihre stärker am Madrigal ausgerichtete Interpretation: Sprechende Kontraste wie zwischen dem vollstimmigen „Omnes amici mei “ (Alle meine Freunde) und dem geringstimmigen „dereliquerunt me“ (haben mich verlassen) werden bei der Compagnia del Madrigale ungemein deutlich.
Sparsame Manierismen
Bei Graindelavoix wird dergleichen nicht unterschlagen, aber in einen größeren klanglichen Fluss integriert. Die typischen Manierismen des Ensembles kommen relativ sparsam zum Einsatz und bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen subjektiver Belebung und Verwischung der kompositorischen Feinheiten – das macht die Sache spannend. Zugleich verleiht der individualisierte, naturhafte und dennoch sauber intonierte Stimmklang dem Ganzen eine große Wärme und der Musik eine nirgends aufdringliche Intimität.
Frank Junghänel (Berliner Zeitung, April 2020)
BR KLASSIK CD-TIPP
Es ist Nacht. Die kleine Kapelle liegt in gespenstischer Dunkelheit. Keine Blumen, keine Decken auf dem Altar, das Licht der Kerzen erloschen. Bis auf eine. Sie flackert versteckt hinter dem Kreuz, letztes Zeichen der Hoffnung in der Finsternis der Grabesnacht und der Gottverlassenheit. Tenebrae - unter diesem Titel kennt man die Gesänge für die Karwoche von Carlo Gesualdo. Tenebrae bedeutet Schatten, Dunkelheit. Es ist die Dunkelheit der Todesstunde Jesu. Es ist die Dunkelheit einer Liturgie, die vorschreibt, dass in jeder Mette vom Gründonnerstag bis zum Karsamstag die Kerzen ausgeblasen werden, nach und nach, eine nach jedem Gebet. Und es ist womöglich auch die Dunkelheit eines Komponistenlebens, das sich dem Ende entgegen neigt. Zerknirschte Musik
Viele Jahre zuvor, als jähzorniger junger Mann, hatte Gesualdo seine Frau ermordet, als er sie mit einem Liebhaber erwischte. Jetzt, als alternder Fürst, bangt er um sein Seelenheil. Er lässt sich auf einem Altarbild malen, als Büßer, kniend. Und er schreibt zerknirschte Musik: die "Tenebrae"-Responsorien, wo Dissonanzen und chromatische Rückungen erzählen von einer aus den Fugen geratenen Welt. Wie mögen diese Responsorien geklungen haben, in den Privatandachten des Fürsten Carlo Gesualdo? Entrückt, blitzblank intoniert, überirdisch rein, wie in der klassischen Aufnahme des Hilliard Ensembles? Oder erdig, rauh, glühend expressiv wie in der neuen Aufnahme mit dem Ensemble Graindelavoix?
Kerniger Stimmansatz
Der Musikethnologe Björn Schmelzer und sein Ensemble Graindelavoix haben in den letzten Jahren unser Renaissance-Bild gründlich durcheinandergewirbelt. Sie haben das Ideal eines aseptischen, makellosen, homogenen Ensembleklangs in Frage gestellt - mit Gesangstechniken, wie man sie aus der traditionellen Musik des Mittelmeerraums kennt. Man wird noch lange diskutieren, ob das historisch korrekt ist - unter die Haut geht es allemal, bei Gesualdo ganz besonders. Die vielen teils mikrotonalen Verzierungen und der kernige Stimmansatz erinnern daran, dass diese Musik ja eigentlich aus Süditalien stammt. Und wenn sich aus der Gruppe die einzelnen Stimmen immer wieder deutlich herauslösen, dann passt das zu dieser Zeitenwende, in der das Individuum wieder stärker in den Vordergrund trat. Natürlich kann Graindelavoix, wo es musikalisch Sinn macht, auch völlig homogen singen. Im lange ausschwingenden Miserere zum Beispiel findet das Ensemble zu einem überraschend meditativen Schönklang. Für Kontrastwirkungen sorgen auch die einstimmigen gregorianischen Lesungen, die liturgisch korrekt zwischen den Responsorien eingefügt sind. In ihrer überpersönlichen Schlichtheit bilden sie einen tröstlichen Gegenpol zu Gesualdos schmerzlicher Subjektivität. Und tragen dazu bei, dass das Wort "Tenebrae" nach dieser mehr als dreistündigen Gesamtaufnahme einen neuen Sinn bekommen hat: bei Graindelavoix meint es nicht nur die Dunkelheit der Schatten, sondern vor allem die faszinierende Vielfalt der Schattierungen.
Thorsten Preuß (BR Klassik, 10 May 2020)
Carlo Gesualdo, Plange Quasi Virgo
Carlo Gesualdo, Caligaverunt oculi mei
Bijnamen: soms zijn ze eerder vloek dan zegen. Menig ‘jonge leeuw’ zag zichzelf verpieteren tot eeuwige belofte en ook het ‘enfant terrible’ wordt wel eens met het badwater weggekiept. Björn Schmelzer en Graindelavoix zijn al twintig jaar de ‘luis in de pels van de oudemuziekscene’, maar bewezen inmiddels veel meer te zijn dan een stel polyfoniepunkers. Ja, dit blijft een uitvoeringsstijl waar je van houdt of van gruwt. Maar luisteren wil je alleszins. Of zou je, in het geval van deze release, móéten willen. Op drie cd’s werken Schmelzer en acht zangers zich doorheen Gesualdo’s responsoriagezangen voor de Goede Week: het muzikale testament van een geniale gek met twee benen in de renaissance en een voet in de barok. Graindelavoix’ vocale zenuwtrekjes worden nooit spek naar ieders bek, maar de karaktervolle stemmen en Schmelzers regie van de ensembleklank, strak en vrij tegelijk, zijn wereldklasse. *****
S.T (De Standaard, 22 April 2020)
BEELDSCHONE, MAAR GRILLIGE GEZANGEN
Het Belgische zangersensemble Graindelavoix van Björn Schmelzer is berucht als rebellenclub van de oude muziek. Sommige critici spreken zelfs meewarig over polyfoniepunkers, een geuzentitel die ook past bij renaissancecomponist Carlo Gesualdo (1566-1613). Deze duistere figuur – hij kwam weg met de moord op zijn vrouw en haar minnaar – schreef beeldschone, maar grillige gezangen. Als edelman was Gesualdo niet afhankelijk van opdrachten van kerken. Die zouden bovendien zijn Tenebrae – Latijns voor schaduwen – niet binnen hun muren hebben geduld. Werden ze al gezongen, dan vermoedelijk alleen in de beslotenheid van de kapel in zijn eigen kasteel. Maar wat een bedwelmende muziek, zeker uit de kelen van Graindelavoix. Niet grofkorrelig, zoals de naam vaak terecht suggereert, maar verglijdend in de tijd, van licht naar donker, en terug – de stemmen lijken hun weg te zoeken door een onherbergzaam landschap, over de ruïnes van een oude stad: een verslavende echo die toen, maar ook nu is. *****
Joost Galema (NRC Handelsblad, 30 April 2020)
To appreciate this work, you need to know something of its original liturgical setting, particularly since the booklet notes say nothing about it. The texts come from the service known as Tenebrae (darkness), which is liturgically Matins and Lauds of the last three days of Holy Week sung in anticipation on the night before. In each full service there are psalms, readings from the Book of Lamentations, the New Testament and St Augustine and the responsories. Candles are progressively extinguished as the service continues until the church is left in darkness. The full services are extremely long. Some churches still celebrate this haunting and moving service, usually in a drastically abridged form, but the finest settings of the responsories and lamentations, such as those by Victoria, Tallis and this set by Gesualdo, have broken free from their original context. They are often performed in a concert setting and recorded on their own. That is more or less what we have here. We need to bear in mind that when they were originally performed, the rest of the service, that is the psalms and readings, would have been sung in plainchant or spoken. The rich musical material of the responsories was expected to be contrasted with the plainer fare of plainchant, beautiful in its own way. Hearing only the responsories, if I may risk the analogy, is like having a meal consisting entirely of rich creamy desserts without any healthy first course with plenty of dark green vegetables.
This release is not quite the responsories on their own. Each day has nine of them. For the first three of them for each day we also have the readings from the Book of Lamentations, sung in plainchant, with the responsories intervening as they should. The other readings are omitted. However, this is enough to give a flavour of the original setting. We also have, at the end of the Maundy Thursday set, the Miserere mei, a setting of Psalm 51 (this is the numbering in English Bibles; it is Psalm 50 in the Latin Vulgate numbering), and – just before the end of the Holy Saturday set – the Canticum Zacharias better known as the Benedictus Dominus, Deus Israel, which is the standard Lauds canticle throughout the year (and in Anglican morning prayer). Strictly speaking, both of these should come on all three days, but as Gesualdo only wrote one setting of each, it is sensible to perform each of them here only once.
The responsories themselves are, as I have suggested, wonderfully rich material. They are in six parts: two sopranos, alto, two tenors and bass. They are in Gesualdo’s most advanced idiom, highly chromatic and expressive, especially when the suffering of Christ is dwelt on. There are frequent sudden harmonic shifts, exposed entries on high or low notes, and switches between elaborate polyphonic writing and more homophonic passages. The pace is predominantly slow and meditative, with only occasional bursts of speed, which are never for long. Gesualdo responds closely to the words, and his melismatic writing means that the listener has to concentrate in detail on the texts to get the most out of this moving and often tormented music. It makes for very demanding listening but the work is clearly a masterpiece. It is not surprising that it has greatly influenced later composers, Stravinsky and Maxwell Davies among them.
This is very much music for an expert choir. Björn Schmelzer and his choir have been working up to this with a number of performances as well as a whole series of previous releases of other early choral works. I gather they are sometimes adventurous in their singing style, individualizing voices and adding ornamentation. However, none of that is in evidence here: they are highly disciplined and have obviously been carefully prepared. Their sound, with women on the top line, is wonderfully rich, creamy and beguiling. Intonation seems absolutely secure, and even the most complex passages come out cleanly. The plainchant settings of the Lamentations are also beautifully done, not hastily but relishing the words.
The recording, made appropriately in a church, is warm. The booklet tells us a good deal about Gesualdo’s personality but little about this work and nothing about Björn Schmelzer and his choir. It does have a number of photographs, but, more important, it has the complete texts in Latin and English, the latter sometimes taken from the King James Bible and sometimes not. An annoying feature of the set is that the three discs are almost indistinguishable from one another. They are laid out in the folder in numerical order from left to right, but I wrote the numbers on them to make sure I would take out the right one.
There are few other complete recordings of this work, although there are partial ones which are not always flagged as such. The French group A Sei Voci recorded the work in 1982, and their version is still available on Apex; it had a mixed reception. The 1990 Hilliard Ensemble version was still, in 2012, the BBC Building a Library first choice. But next year Herreweghe and his Collegium Vocale Gent recorded the work, and this has been well received (review). I have not heard Herreweghe, but I had the Hilliards for comparison, and I find Graindelavoix a good deal more attractive. If you want to hear the responsories in their original liturgical context, Andrew Parrott and his Taverner Consort have recorded just the Good Friday set with some of the appropriate psalms and all the other readings (review). But Graindelavoix have now become my go-to set for this work.
Stephen Barber (Musicweb International, June 2020)